Antonie Schneider/Silke Leffler: „Mein buntes Blumenfest“

Ein Buch, das Kindern spielerisch die Blumenwelt nahebringt

1402_BlumenfestDieses Mitmach-Kinderbuch regt an zum Malen, Tüfteln, Schreiben, Riechen, Reimen, Basteln, Gärtnern, Wundern, Freuen und Staunen. Beginnend mit dem Blumenfest – nach Oscar Wilde – wird die Vielfalt eines schönen Gartens verherrlicht, in dem Kinder, Pflanzen und Vögel glücklich zusammenleben. Der Riese richtet ein großes Fest aus, zu dem alle Blumen eingeladen sind. Zur Freude aller Kinder haben sie sich aufs Schönste herausgeputzt. Sie duften herrlich und verstehen sich alle aufs Beste.

Plötzlich kippt die harmonische Stimmung. Die Blumen zerstreiten sich, und die Rose sitzt auf einem Stuhl und weint. Da beendet der gastgebende Riese das Fest, und alle verlassen mit hängenden Köpfen den wunderschönen Garten.

Seit dieser Zeit drücken ddie Blumen ihre Gefühle ohne Worte aus. Die Kinder allerdings sind die Einzigen, die noch Zugang zur Sprache und zu den Zeichen der Blumen haben. 

Im weiteren Verlauf des phantasievoll und liebevoll illustrierten Buches werden Schneeglöckchen, Schlüsselblumen, Gänseblümchen, Maiglöckchen, Lavendel, Rose und viele andere Blumen sachlich in ihrem Erscheinungsbild beschrieben sowie in ihre Pflanzenfamilie eingeordnet, und es wird erklärt, wo sie zu Hause sind. Kleine Gedichte und Geschichten, Bastel- und Zeichenideen ergänzen dieses Pflanzen-Mitmachbuch. Ein Würfelspiel lädt schließlich alle Kinder auf ein Blumenfest ein, sofern sie bis dahin alle Hürden genommen haben.

Man kann dieses Buch schon mit Vierjährigen betrachten und sie kleine Aufgaben lösen lassen. Ältere Kinder im Grundschulalter können sicher noch sehr viel mehr damit anfangen. Alle erwachsenen Blumenliebhaber werden von der Vielfalt der Ideen, Illustrationen und Sachinhalte begeistert sein.

Die Texte stammen von Antonie Schneider, die Illustrationen von Silke Leffler.

„Mein buntes Blumenfest“ ist im Nilpferd-Verlag erschienen und kostet 19,90 €.


Barbara Raudszus

Vorschau auf einen anregenden Musiksommer

Das „Rheingau Musik Festival“ stellt sein Programm für 2014 vor

In diesem Jahr wird das Rheingau Musik Festival zum 27. Male seine Tore einem musikbegeisterten Publikum öffnen. Dabei zieht sich die Festivalsaison in diesem Jahr wegen der späten Lage der hessischen Schulferien bis zum 13. September hin. Das eröffnet die einzigartige Gelegenheit, in dieser Saison Orchester zu hören, die in den Vorjahren während der Festivalsaison stets in den Ferien weilten.

Programmheft mit Schloss Johannisberg

Programmheft mit Schloss Johannisberg

Das diesjährige Festival steht unter einem doppelten Motto: „Liebespaare“ sowie „Shakespeare“, wobei sich beide natürlich überlappen können. Beim Eröffnungskonzert am 28. Januar in der Basilika des Klosters Eberbach wird das Orchester des Hessischen Rundfunks unter der Leitung von Paavo Järvi Mendelssohns Schauspielmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ präsentieren, und beim Abschlusskonzert am 13. September wird die „Academy of Ancient Music“ mit Richard Egarr am Pult Händels „Wassermusik“ und „Feuerwerksmusik“ spielen. Dazwischen werden 157 Konzerte aus dem Bereich der Kammermusik, der Sinfonik, der Gesangskunst, des Jazz und der Leichten Muse an 45 Spielstätten stattfinden.
Festival-Gründer und -Leiter Michael Herrmann berichtete auf der Pressekonferenz von einem erfolgreichen Verlauf der Saison 2013, die mit 116.000 Besuchern eine Auslastung von 92% erreichte und damit den Vorjahreswert trotz gestiegenen Kartenangebots noch geringfügig überschritt. Der Etat beträgt in diesem Jahr unverändert 8 Mio. Euro, wobei man guten Grund zu der Annahme hat, dass sich der Sponsorenanteil wie im letzten Jahr bei ca. 45% einpendeln wird. Auch die Eigenfinanzierung wird in diesem Jahr wieder bei nahezu 100% liegen, wodurch das Festival unabhängig von den Wechselfällen des politischen Alltags bleibt.

In diesem Jahr wird der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann als „Composer & Artist in Residence“ agieren, d. h., dem Festival über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen und in fünf Veranstaltungen auftreten. Als weiterer „Artist in Residence“ wird der bekannte Geiger Frank Peter Zimmermann in vier Veranstaltungen auftreten.

William Shakespeares 450. Geburtstag wird sich in sieben Konzerten niederschlagen, neben dem Eröffnungskonzert unter anderem noch in einer Operngala, in einem Gesangsvortrag Shakespearescher Sonette und in Hector Berlioz´ „Roméo et Juliette“.

Das Thema „Liebespaare“ werden zehn Konzerte musikalisch verarbeiten, die sich teilweise mit dem Shakespeare-Motto decken. Dazu gehören u.a. „Szenen einer Ehe“ über Leben und Schaffen von Robert und Clara Schumann sowie ein Klavierabend mit Gerhard Oppitz mit Klaviermusik zu „Hero und Leander“, „Tristan und Isolde“ und „Daphnis et Chloë“.

Doch das Festival hat noch weitere Jubiläen zu würdigen. So Richard Strauss´ 150. Geburtstag mit acht und Carl Philipp Emanuel Bachs 300. Geburtstag mit drei Konzerten.

Unter dem Stichwort „Next Generation“ wird das Rheingau Musik Festival wieder jungen Nachwuchskünstlern die Gelegenheit zu Auftritten vor größerem Publikum geben, so etwa Igor Levit am Klavier.

Neben den großen Orchester- und Solokonzerten – unter anderen Beethovens „Neunte“ unter Enoch zu Guttenberg und Murray Perahia mit Beethovens 3. Klavierkonzert – wird es auch viel Chormusik geben, zum Beispiel Joseph Haydns „Schöpfung“ oder Bachs „Johannes-Passion“. Das Liedgut von Franz Schubert kommt ebenso zu Gehör wie Opernarien von Gounod und Verdi.

Doch auch die Jazz- und Popmusik kommen beim Rheingau Musik Festival zu ihrem Recht. So werden Bobby McFerrin, die Band von Klaus Doldinger, die HR-Bigband und viele andere Gruppen und Jazz-Ensembles auftreten. Auch hier heißt es für Interessenten das Programm genau zu studieren.

Schließlich wird auch die Literatur – im Verein mit der Musik – ihren Platz in Gestalt von musikalischen Lesungen verteidigen, und kabarettistische Auftritte werden für die unbedingt nötige Portion scharfen Humors sorgen.

Für die kleinsten Konzertbesucher schließlich bietet das Festival verschiedene Sitzkissenkonzerte und „Jugendopern“ sowie eine Musical namens „Sax und  Moritz“ nach der ähnlich lautenden Geschichte eines deutschen Humoristen des vorletzten Jahrhunderts an.

Man sieht aus dieser Ankündigung, dass die Veranstalter dieses größten deutschen Musikfestivals wieder viel vorhaben, und man kann davon ausgehen, dass sie dieses Programm auch in professioneller Weise über die Bühne bringen werden. Hoffen wir nur, dass auch der Wettergott in diesem Jahr (wieder) mitspielt, damit möglichst viele der dafür vorgesehenen Veranstaltungen im Freien stattfinden können.

Weitere Informationen über die Webseite des Festival.


Frank Raudszus

Nomen es Omen

Das „Westside Theatre“ in Darmstadt widmet sich mit Vorliebe dem englischen Sprachraum

Vor knapp eineinhalb Jahren, im Oktober 2012, eröffneten Marijke und Peter Jährling in der ehemaligen Kantine der Schenck AG in der Darmstädter Landwehrstraße das „Westside Theatre„. Seitdem haben die beiden agilen Künstler bereits eine Reihe anspruchsvoller Aufführungen auf die Bretter gebracht und sich in der kurzen Zeit in Darmstädter Theaterkreisen etabliert.

Marijke Jährling

Marijke Jährling

Das flache Gebäude, ein architektonisches Produkt der fünfziger Jahre, macht auf den ersten Blick keinen besonderen Eindruck, hat aber den Vorteil, dass abends stets genug Parkplätze zur Verfügung stehen. Und bei einem Theater kommt es – neben den Parkplätzen! –  hauptsächlich darauf an, was drinnen geschieht. Dort findet man erst einmal ein gemütliches und geräumiges Foyer vor, das die Nüchternheit des Baus geschickt überspielt. Der Theatersaal selbst verfügt über minimal 65 und maximal 100 Plätzen in wohltuend aufsteigender Anordnung und darüber hinaus über eine ungewöhnlich große Bühne, die sich für die verschiedensten Aufführungen enstprechend unterteilen lässt. Dahinter stehen verschiedene Garderoben- und Requisitenräume bereit, die langfristig auch die Möglichkeit zur Erweiterung des Zuschaerraumes geben.

Marijke und Peter Jährling haben für das kommende Jahr viel vor. Dabei liegt der Schwerpunkt einerseits auf anspruchsvollen Kammerstücken des englischen Sprachraums und andererseits auf dem Jazz. Aber auch dem Tanztheater sind sie zugeneigt. Diese Schwerpunktbildung hat durchaus biographische Hintergründe. Peter Jährling kommt eigentlich aus der Landwirtschaft, ein Beruf, der nicht unbedingt für ein Schauspielerkarriere prädestiniert, wenn man mal davon absieht, wie man einer Sau die Schlachtung schmackhaft machen kann. Doch Jährling hatte von Anfang an eine Schwäche fürs Theater, fand einen – amerikanischen – Mentor und ging mit ihm nach Los Angeles, um dort die Schauspielerei von der Pike auf zu lernen. Daher rührt auch seine Vorliebe für Stücke amerikanischer Autoren, etwa Sam Shepard und Neill Simon.

Diese beiden Autoren führt das Westside Theater derzeit auch im Spielplan, Shepards „Fluch der verhungernden Klasse“ ist in der letzten Saison gelaufen, und Simons „Ein seltsames Paar“, das man aus dem Kino mit Walter Matthau und Jack Lemmon kennt, steht am 31. Mai zur Premiere an. Als nächste Premiere steht allerdings am 8. März Dario Fos antikapitalistische Farce „Bezahlt wird nicht“ auf dem Programm.

Marijke Jährling ist neben einer ausgebildeten Schauspielerin auch begeisterte Jazz-Sängerin. Daher wird man bei ihr stets gute Jazz-Combos antreffen, die hier mit ihr oder ohne sie auftreten, je nach musikalischem Schwerpunkt. „Billies Blues“, einer der ersten Produktionen des Westside Theatre, schildert musikalisch das Leben der großen Blues-Sängerin Billie Holiday und war so erfolgreich, dass es noch jetzt läuft. Am 1. Februar wird das „Georg Bößner Trio“ mit dem Namensgeber am Piano auftreten, am 1. März folgt ein kontrastreiches Duo aus dem sensiblen Pianisten Bob Degen und dem eher kreatürlichen Saxophonisten Eric Plandé. Man darf gespannt sein. Danach wird mit „Klezmers Techter“ am 16. März eine ganz andere Musikrichtung im Westside Theatre ihr Debut geben.

Das Tanztheater ist mit Simone Derius „Regula“ vertreten, das am 4. April im Westside Theatre Premiere feiert. Simone Deriu war Mitglied der Tanztruppe des Staatstheaters Darmstadt und hat im Westside Theatre bereits seine Choreographie „Airplanes“ präsentiert.

Daneben hat auch die Theatergruppe der Darmstädter ESOC im Westside Theatre eine neue Bleibe gefunden und tritt unter anderm mit dem Lebendpuppenspiel „Frankenstein the Pantomime“ (13. -22. Februar) auf. Des Weiteren bietet das Westside Theatre diverse „Kleinprogramme“ mit verschiedenen Texten und Musik an.

Einfach mal in die Webseite schauen. es lohnt sich!


Frank Raudszus

Von Man-o-War bis nach Green Turtle Cay

Nach Nordwesten zwischen Abaco und den Cays entlang

An diesem Morgen herrscht das ideale Segelwetter: Sonnenschein und etwa 3 bis 4 Bf Windstärke aus östlicher Richtung, da der Nordost-Passat sich hier deutlich bemerkbar macht. Die Bootsübernahme erfolgt erfreulich schnell und unkompliziert. Dabei geht es vor allem um die seemännisch wichtige Ausrüstung und weniger um die Zahl der Messer und Gabeln. Wegen eines auf diesen Tag fallenden Geburtstages eines Crewmitgliedes dehnt sich der Vormittag noch etwas um einen Spaziergang und ein Hotelfrühstück in die Länge, bevor wir gegen Mittag endlich die Leinen loswerfen.

Die ersten Tage auf See

Die ersten Tage auf See

Die Ausfahrt aus Marsh Harbour ist nicht trivial. Die Wassertiefe beträgt im Fahrwasser zwischen neun und zehn Fuß, aber außerhalb wird es schnell flacher. Außerdem ankern zahlreiche Yachten in dem geschützten Hafen, so dass das Auslaufen ein wenig zum Slalomlauf wird, bei dem man auch schon einmal nach links und rechts aufmerksam auf den Grund schaut. Schließlich könnten die Ankerlieger ja auch Kimmkieler sein….

Da unser erstes Ziel, die Cay „Man-o-War“, nur acht Meilen nördlich liegt und direkt ansteuerbar ist, gewöhnen wir uns mit ein paar längeren Kreuzschlägen ein wenig an das Revier und das flache Wasser, ehe wir den geschützten Ankergrund von Man-o-War anlaufen. Das Handbuch sagt, man solle die enge Einfahrt genau in der Mitte durchfahren, dazu eine Deckpeilung zur Hilfe nehmen und auf keinen Fall bei Gegenverkehr einlaufen. Beim Einlaufen zeigt sich die Berechtigung dieses Hinweises, denn jetzt, bei Hochwasser, haben wir gerade einmal acht Fuß – zweieinhalb Meter -Wassertiefe, das heißt einen Meter Wasser unter dem Kiel, und das auch nur in der Mitte der Einfahrt.

Bootsübernahme in Marsh Harbour

Bootsübernahme in Marsh Harbour

Wie in den meisten Buchten der Cays von Abaco stehen genügend Moorings zur Verfügung. Allerdings sollte man auch hier ein wenig Acht geben. Der die Liegegebühr von zwanzig Dollar kassierende „Hafenmeister“, der selbst auf einem geräumigen Motorboot an der Mooring lebt, lotst uns von der anfangs ausgewählten Mooring an eine andere, weil wir sonst bei Niedrigwasser trockengefallen wären. Mooring ist nicht gleich Mooring!

Man-o-War ist ein langes, schmales Band aus Strand und Dünen, das hauptsächlich von Ferienhäusern besiedelt ist. Ein einziges Restaurant, das aber sonntags geschlossen hat, und konsequente „Trockenheit“ in Sachen Alkohol locken die Segler nicht gerade in Scharen an Land. Aber ein Spaziergang entlang des Atlantikstrands lohnt sich immer. Und weiter im Nordwesten liegt noch eine schöne Ankerbucht an der schmalsten Stelle der Insel, wo diese gerade einmal zwanzig Meter breit ist. Man kann sozusagen in Badehose zwischen Nord- und Südstrand wechseln.

Der nächste Morgen treibt uns wegen der Tide bereits um sieben aus unser Bucht und in die besagte Ankerbucht, wo wir ein Frühstück und die Badefreuden im türkisfarbenenen Wasser genießen. Dann geht es mit raumem Wind mit Bf. 4 zur nächsten Cay weiter. An Steuerbord passieren wir die Durchfahrt durch die Riffe in den Atlantik, dann geht es weiter, vorbei an Scotland Cay zur „Great Guana Cay“, wo am nordwestlichen Ende angeblich die schönsten Schnorchelgründe locken. An der äußersten Spitze werfen wir den Anker und versuchen unser Glück als Schnorchler. Doch rings um eine kleine, vorgelagerte Insel gibt es keine Korallenriffe, und eine Fahrt mit dem Dinghi hinaus zu den Riffen vor der Atlantikseite der Cay führt zwar zu attraktiven Schnorchelgründen, doch die Dünung ist zu hoch, um dort das Dinghi sicher zu vertäuen und – vor allem – um ungefährdet zwischen den Riffen herumzuschnorcheln. Ein kurzer Blick auf die Fischvielfalt muss genügen, dann geht es zurück an Bord.

Die Traumbucht auf "Man-o-War"

Die Traumbucht auf „Man-o-War“

Bei der „Bakers Bay“ im Süden der Cay-Spitze gibt es eine moderne Marina, Überbleibsel eines riesigen Tourismuskomplexes, der früher vor allem von Kreuzfahrtschiffen angelaufen wurde. Man kann noch heute den Kanal bestaunen, der damals extra für diese großen Schiffe ausgebaggert worden war. Doch da der Kanal im Winter immer wieder versandete, hat man den Ankerplatz für Kreuzfahrtschiffe aufgegeben und Great Guana Cay wieder zu einem beschaulichen Dasein verholfen. Welch ein Glück, denn man kann nur mit Grausen ahnen, wie es hier mit einem oder gar mehreren dieser schwimmenden Massenhotels zugehen würde.

Da uns die Marina zu unpersönlich – und zu teuer – erscheint, geht es am Nachmittag zurück zu „Settlement Harbour“, einer gut geschützten Ankerbucht mit Marina im südlichen Teil der Insel, Dort liegt auch das berühmte „Nipper´s“, dessen Ruf uns bereits in Marsh Harbour erreicht hatte. „Nipper´s“ ist ein außergewöhnliches Restaurant auf der Dünenkuppe, dessen Hauptattraktion allerdings die offene Bar mit Atlantikblick und gehaltvollen Drinks ist. „Nipper´s“ scheint ein „Must“ für allen Segler zu sein, die in diesen Gewässern unterwegs sind. So begeben also auch wir uns nach dem Festmachen und Aufklaren des Bootes mit dem Dinghi an Land, um „Nipper´s“ kennenzulernen. Das Lokal besteht aus rustikalen Möbeln, die teilweise selbstgezimmert wirken, und ist in den typischen Abaco-Farben gestrichen: Altrosa und Türkis. Man vesteht sofort, dass sich dieses Lokal – vor allem die Bar – binnen kurzer Zeit zu einem Kultobjekt der nördlichen Bahamas entwickelt hat. Auch wir werden hier nicht nur Sylvester feiern – mit großem Feuerwerk am Strand -, sondern auch später auf dem Rückweg hier wieder Station machen.

Hier geht´s zum "Nipper´s"

Hier geht´s zum „Nipper´s“

Nach dem Jahreswechsel, den wir – wie gesagt – im „Nipper´s“ verbracht haben, geht es an Neujahr weiter nach Nordwesten. Dazu müssen wir eine Strecke offenen Wassers ohne den Seegangschutz vorgelagerter Cays überqueren. Die Dünung steht hier hoch in das flache Wasser hinein, und ein rostbraunes Wrack an den Felsen einer kleinen Cay an Steuerbord zeigt, dass hier auch heute noch Schiffe stranden können. Eine angenehme Fahrt mit achterlichen Winden führt uns auf Zickzack-Kurven um diverse Untiefen herum zur idyllischen „No Name Cay“, auf der sich wilde Hausschweine eingerichtet haben und sich als touristische Attraktionen sehr wohlfühlen. Die Cay ist gesäumt von einem fast schneeweißen, unberührten Sandstrand, denn sie ist unbewohnt. Keine Häuser, keine Golf-Carts – das typische Beförderungsmittel auf den Cays -, keine Piers und Anleger. Reine Natur.

Da man sich hier aber nicht versorgen kann und außerdem auch nicht sehr komfortabel über Nacht liegt, gehen wir wieder ankerauf Richtung „Green Turtle Cay“ nur wenige Seemeilen weiter nordwestlich. Dort werfen wir vor New Plymouth, der einzigen Ortschaft auf der Cay, gegen 16:30 Uhr Anker. Die erste Landfahrt gilt einem Restaurant, denn am Neujahrstag werden wir kaum einen offenen Laden finden. Direkt am Ufer stoßen wir auf das „Sundowner“, ein ausgesprochen bodenständiges Restaurant mit Terrasse zum Sonnenuntergang – daher der Name -, einer knuffigen Bar, einem Billardtisch und einer Dartscheibe. Hier treffen sich alle, die nicht wissen, wie sie sonst den Abend verbringen sollen. Bier und Cocktails fließen hier in Strömen, und die Bar ziert so manch verwittertes Aussteigergesicht.

Vor New Plymouth

Vor New Plymouth

Zuerst einmal erkunden wir jedoch den Ort. Er besteht aus kleinen Holzhäusern in den typischen Pastellfarben (s. o.), einem Hafen, der für größere Yachten zu flach ist, einer Kirche und zwei oder drei Läden, in denen saich die Einheimischen mit den nötigsten Dingen eindecken. Da es hier außer Golf-Carts kaum Autos gibt, fühlt man sich um ein Jahrhundert zurückversetzt. Die Idylle ist so unwirklich, dass man sich auch in einem künstlichen Disney-Ort wähnen könnte. Aber dies ist alles echt!

An der Bar des „Sundowner“, zu dem wir wegen des Abendessens zurückkehren, lernen wir ein amerikanisches Ehepaar kennen. Er ist IT-Spezialist und entwickelt für verschiedene Kunden in seinem „Home Office“ in den Bahamas Software. Das scheint gut zu klappen und nicht die schlechteste Art zu sein, Beruf und Freizeit zu verbinden. Allerdings muss man sich darauf einstellen, dass es hier außer dem „Sundowner“ keine weitere Gastronomie gibt, so dass die beiden jeden zweiten Abend hier verbringen. Doch nicht ganz so verlockend!

Über dieses Ehepaar erhalten wir auch den Kontalt zu einem professionellen Tauch- und Schnorchelveranstalter, der täglich mit Gästen hinaus ans Riff fährt. Und so düsen wir am nächsten Morgen per Dinghi zu dem nördlichen Hafen, der sich vor allem durch seine enge und flache Einfahrt auszeichnet und den wir deshalb mit unserem Schiff vermieden haben. Brendal, der Inhaber und Reiseleiter, ist ein sehr attraktiver und sich dessen bewusster Einheimischer, der nach dem Auslaufen den Damen gerne seinen Musterkörper im knappen Badehöschen zeigt und die Gäste mit diversen Witzchen unterhält. Bevor die Taucher und Schnorchler am Riff ins Wasser gehen, beruhigt er die Damen an Bord mit der Bemerkung „Don´t worry, ladies, sharks are man eaters – and they don´t like black skin!“. Also springen die Männer mit Todesverachtung als erste ins Meer.

Nach dem wider Erwarten alle das Tauchen und Schnorcheln lebend überstanden haben – die Haie waren ca. eineinhalb Meter lang und völlig desinteressiert -, geht es an einen idyllischen, einsamen Strand zum „seafood picknick“ mit verschiedenen Salaten und gegrilltem Lobster. Es gibt wahrhaft Schlimmeres! Nach der Rückkehr in die Marina geht es zurück an Bord und dann erst einmal nach New Plymouth, um einzukaufen. Allerdings ist das Angebot ziemlich dünn, da die Fähre nur einmal in der Woche kommt und am Tage davor die große Leere in Regalen und Kühltruhen herrscht. Wir nehmen das, was da ist, und machen uns damit einen netten kulinarischen Abend an Bord. 

Tauch- und Schnorchelchef Brendal

Tauch- und Schnorchelchef Brendal


Am nächsten Morgen weckt uns gegen sieben Uhr Heulen udn Pfeifen. Ein rascher Blick nach draußen zeigt nicht nur, dass der Wind kräftig aufgefrischt hat und dicke Regenböen über die See jagen, sondern dass wir jetzt auf Leegerwall liegen, d. h. in Luv der Küste. Da es hier ziemlich ungemütlöich wird, lichten wir kurzentschlossen den Anker und gehen durch die enge Fahrrinne in den geschützten nördlichen Hafen. Und siehe da, die Fahrrine ist tiefer als die Karte aufweist, so dass wir nach einer halben Stunde sicher an einer Mooring liegen und der Wind uns nichts mehr anhaben kann. jetzt heißt es erst einmal in Ruhe frühstücken. Den rest des Tages verbringen wir wegen des ungemütlichen Wetters mit einem Spaziergang uns später mit einem Abstecher zur nächsten Insel, da sich Wind und Regen am späten Vormittag gelegt haben. Da die angeblich im „Turtle Creek“  onzutreffenden Schildkröten sich aber partout nicht zeigen wollen, geht es am Nachmittag zurück in den Hafen.

Da die weiteren Cays im Nordwesten kaum oder gar nicht bewohnt sind und auch über keine Infrsatruktur verfügen, beschließen wir, am nächsten Tag umzukehren und noch einmal die Cays östlich von Marsh Harbour kennenzulernen. Hoffentlich bläst es morgen nicht gerade aus Südost, denn da wollen wir hin!

Weiter ….

Frank Raudszus

Auf nach Abaco!

Ein Segeltörn durch die nördlichen Bahama-Inseln

Während eines Segeltörns durch die Virgin Islands in den neunziger Jahren schwärmten andere Segler von den Traumstränden und dem türkisfarbenen Wasser der Bahama-Inseln. Jahrelang hatten wir uns vorgenommen, diese Inselgruppe einmal kennenzulernen, und das natürlich nicht vom Deck eines Kreuzfahrtschiffes mit mehreren Tausend Passagieren, sondern aus der Froschperspektive des Seglers, der sich seinen Weg von Insel zu Insel selbst bahnt und in verschwiegenen Buchten ankert. Doch stets kam etwas dazwischen: andere Urlaubsschwerpunkte, andere Segelreviere oder familiäre Prioritäten.

Die Bahama-Inseln

Die Bahama-Inseln


Doch Mitte des letzten Jahres nahm dieser mittlerweile uralte Wunsch endlich konkrete Form an. Über den Vercharterer Scansail, ein enger Partner der weltweiten Charteragentur Moorings, fanden wir schnell ein passendes Boot, eine Sun Odyssee 39i, das mit seinen knapp zwölf Metern Länge und drei Doppelkabinen drei Personen einen angemessenen Komfort bietet. Die Charteragentur bereitete alle wesentlichen Angelegenheiten professionell vor, und so konnte es Ende Dezember auf die Reise gehen.

Die Bahamas erstrecken sich östlich der Südspitze von Florida in südöstlicher Richtung bis an das Ostende von Kuba und bestehen aus hunderten von größeren und kleineren Inseln. Die Hauptstadt Nassau liegt auf der kleinen Insel New Providence etwa in der Mitte zwischen Florida und Kuba. Da Marsh Harbour, der Ausgangshafen unseres Segeltörns, auf der kleinen nördlichen Bahama-Insel Abaco und nicht auf der Hauptinsel Nassau liegt, sind zwei Zwischenlandungen in Charlotte (NC) und Fort Lauderdale (FL) erforderlich. Außerdem erzwingt der Flugplan noch eine Übernachtung in Fort Lauderdale an der Ostküste Floridas nördlich von Miami.

Die beiden "Abacos"

Die beiden „Abacos“

Nach einem rustikalen Abendessen in einem typisch amerikanischen Restaurant mit einem Dutzend Fernsehbildschirmen und überladener Weihnachtsdekoration begrüßt uns am nächsten Morgen ein eher frugales „Plastik-Frühstück“ – Geschirr und Besteck aus Kunststoff oder Pappe, Lebensmittel weitestgehend verpackt – in einer besseren Stehbar. Die Hotels hier dienen offensichtlich nur der Überbrückung vor dem Besteigen der Kreuzfahrtschiffe, die hier wie riesige weiße Hotelberge im Hafen liegen und schon von weitem zu erkennen sind. Auf Wohnlichkeit und Urlaubsatmosphäre legt man hier keinen großen Wert.

Am nächsten Morgen geht es wieder zum Flughafen. Dort wartet eine zweimotorige Propellermaschine auf uns, die uns in etwas über einer Stunde nach Marsh Harbour bringen soll. Gegen Mittag schwingt sich die fast voll besetzte Maschine in die Luft über Fort Lauderdale, zieht über die Kreuzfahrtschiffe im nahen Hafen hinweg und stößt durch die Wolkendecke, uns damit die Sciht auf die See nehmend. Nach knapp einer halben Stunde folgt ein kleiner Schreck: der Kapität meldet kurz und lakonisch, dass er wegen eines technischen Defekts umkehren müsse. Neben dem flauen Gefühl, das die ebenso harmlose wie Spekulationen  verursachende Ansage hervorruft, stellt sich gleich der Ärger über die Gefährdung des Zeitplans ein, denn heute wollten wir das Boot übernehmen – und vielleicht sogar noch auslaufen.

Nach problemloser Landung in Fort Lauderdale – der Defekt schien ein eher nachgeordnetes Aggregat zu betreffen – warten wir glücklicherweise nur etwa eine Stunde, bis es mit einer identischen Maschine wieder auf nach Osten geht. Diesmal verläuft der Flug ohne Probleme, und nach einer Dreiviertelstunde öffnet sich die Wolkendecke unter uns und gibt den Blick frei auf türkisfarbenes Wasser, weite, helle Sandbänke und schneeweiße Strände. So haben wir usn die Karibik schon immer vorgestellt! Der Flugplatz von Marsh Harbour – Flughafen möchte man dazu gar nicht sagen – erweist sich fast als familiär, und die Passformalitäten sind schnell erledigt. Dann geht es per Taxi zu der nahe gelegenen Marina, wo wir uns melden und erst einmal eine halbstündige Einführung in das Segelrevier erhalten. Eine junge Frau namens Rosie weist uns auf die durchgängug geringe Wassertiefe – zwischen zehn und fünfzehn Fuß! – sowie auf die Tide hin. Gewisse Häfen sollte man nur bei Hochwasser anlaufen und sich vorher die Tidentabellen anschauen. Wer nur die Ostsee und das Mittelmeer kennt, muss sich umstellen. In der Ostsee verursachen Wassertiefen unter fünf Metern bereits ein leichtes Kribbeln, hier ist das der Normalfall, und das Kribbeln setzt eigentlich – wie wir später merken – erst unter acht Fuß oder zweieinhalb Meter ein.

Blick vom Flugzeug auf eine Cay

Blick vom Flugzeug auf eine Cay

Wegen der Verspätung können wir das Boot an diesem Abend nicht mehr übernehmen, sondern uns nur dort einrichten und uns zur Nachruhe betten. Bevor wir uns dieser hingeben, genießen wir aber noch das „Seafood“-Angebot auf der Terrasse eines nahe gelegenen Restaurants bei lauschigen Abendtemperaturen um die zwanzig Grad. Zu Hause werden sie um diese Zeit schön frieren!

Morgen geht es hinaus in die Cays. Das sind kleine Inseln mit wenigen hundert Metern Breite und einigen Seemeilen Länge, diewie ein Schutzschild in einigen Meilen Abstand zwischen dem Atlantik und der Insel Abaco liegen. Die Cays verfügen über kein eigenes Grundwasser, sondern müssen Süßwasser aus dem Regen gewinnen oder von der Insel holen. Die Bevölkerungsdichte ist durchweg recht gering; meist existiert auf einem Cay nur eine kleine Ortschaft und zusätzlich eine Marina mit den zugehörigen Einrichtungen wie Hotels, Gastronomie, Service und Wassersportfirmen. Ansonsten stehen viele Ferienhäuser, meist in Pastellfarben, auf den Cays, die während der Wintermonate leerstehen. Das Meer zwischen Abaco und den Cays ist durchweg zwischen drei und sechs Metern tief. Beim Segeln kann man den Grund beobachten, woran sich vor allem europäische Segler erst einmal gewöhnen müssen. Auf der Atlantikseite liegen vor den Cays weit ausgedehnte Korallenriffe, an denen sich die Dünung bricht. Dadurch ist das Wasser zwischen Cays und Abaco selbst bei stärkerem Wind noch ziemlich ruhig. Nur an den wenigen tieferen – und explizit ausgezeichneten – Durchfahrten durch die Riffe in den Atlantik steht die Dünung bei Ostwind in den geschützten Meeresbereich hinein, allerdings bereits deutlich abgeschwächt.

Dieses Gebiet wollen wir ab morgen erkunden. Der Wetterbericht sagt jetzt, Ende Dezember, Temperaturen zwischen 23 und 25 Grad Celsius voraus, die Wassertemperaturen liegen deutlich über 20 Grad. Was will ein deutsches Seglerherz mehr?

Weiter ….

Frank Raudszus

Quälende Suche nach dem Warum

Das Deutsche Theater Berlin zeigt Dea Lohers „Am Schwarzen See“ 

Ein kleines Dorf am sogenannten Schwarzen See, eine überschuldete Brauerei, eine Bank und zwei Paare, die gedanklich zurückkehren, in die Zeit vor vier Jahren, als sich ihre einzigen Kinder, damals ein Paar, im Alter von 14 und 16 Jahren das Leben nahmen. Dies wird kein schöner Theaterabend, sondern einer, der bis ins Mark geht und das Gedankenkarussell auf eine unendliche Reise schickt. Melancholie, Angst, Verzweiflung, Trauer und Hilflosigkeit sind die Farben, die das Stück von Dea Loher beherrschen. Und diese Farben sind letztlich verschiedene Abstufungen desselben Grau, das eine Tristesse verbreitet, die sich durch den Raum bis in die Charaktere, die Seelen und das Publikum zieht. Selbst nach dem Stück dauert es einige Momente, bis die starren Mimiken der Schauspieler sich auflösen, sie sich von den Figuren lösen und an dem langen Applaus der Zuschauen erfreuen können.

Natali Seelig (Cleo), Bernd Moss (Eddie), Katharina Marie Schubert (Else), Jörg Pose (Johnny)
Natali Seelig (Cleo), Bernd Moss (Eddie), Katharina Marie Schubert (Else), Jörg Pose (Johnny)

 


Else und Jonny wagen sich nach vier Jahren erstmals zurück in das kleine Dorf am Schwarzen See, wo ein einst beschauliches Leben ein schreckliches Ende nahm. Sie hatten Cleo und Eddi angerufen, um ihnen mitzuteilen, dass sie auf der Fahrt ans Meer einmal vorbeikommen wollten. Nun stehen sie da in der Unwirklichkeit der Vergangenheit und keiner weiß, wie man mit der Situation umgehen soll. Wiedersehensfreude ist im tiefsten Inneren nicht da – oder doch ein wenig? Alle versuchen in Erinnerung an das erste Treffen zu schwelgen, als Else, Jonny und ihre Tochter hierher zogen. Es reihen sich Erzählungsfragmente aneinander, die von einem lustigen und ausgelassenen Tag der Eltern am See berichten. Man ist mit dem Boot hinaus gefahren, hat geangelt, und ungewollt sind einige der Kleider nass geworden. Es wird tatsächlich gelacht und man fällt einander vor Freude ins Wort. Aber die Freude ist angespannt. Leicht zumindest. Im Hintergrund schwillt die Wolke des eigentlichen Themas an, weshalb diese Zusammenkunft stattfindet. Sie wollen es verstehen. Erneut. Jonny, gespielt von Jörg Pose, ist Banker. Eine tiefe Unruhe treibt Ihn an, und so lässt er sich durch seine Bank immer und immer wieder versetzten. Eigentlich weiß er, dass seine Frau Else ein schwaches Herz hat und deshalb Ruhe braucht. Aber er kann nicht, ist rastlos. Else, dargestellt durch Katharina Marie Schubert, ist selbst kaum noch in der Lage, am normalen Leben teilzunehmen.
Sie nimmt Tabletten und schwebt in anderen Sphären durch die Realität – im Jetzt spielt diese schon lange nicht mehr. Cloe, gespielt von Natali Seelig, hatte eingeheiratet in die Brauerei. Heute kämpft sie alleine mit aller Kraft um deren Überleben und klammert sich an das reale Dasein. Eddi, verkörpert von Bernd Moss, hat äußerlich resigniert und weist jegliches Materielle von sich. Innerlich ist er jedoch zerfressen und fällt ohne Ablenkung in manisches, selbstzerstörendes Verhalten zurück.


Die Szenerie des Stücks ist das seelisch verwaiste und materiell entleerte Eigenheim von Cloe und Eddi. Ein großer Raum voller Nichts, in dem selbst die Farbe an den Wänden versucht zu fliehen. Ein einziger Sessel ist geblieben, auf den sich eine nach dem anderen niederlässt und sinniert. Er steht auf der rotierenden Plattform der Bühne, die sich unaufhaltsam dreht. Die Zeit steht nicht still. Auch wenn es das ist, was die Ehepaare verkörpern. Oder nach dem Zurückdrehen der Zeit, wonach sie stumm schreien. Nein, die Zeit kennt nur eine Richtung. Und in diese wandert sie unermüdlich fort. Wer nicht mit ihr geht, landet irgendwann an der Wand – wird weggeschoben. Das Spannende an der Handlung ist, das es keine gibt. Wenn man eine Handlung als eine zeitliche Abfolge von Geschehnissen definiert, wodurch sich zwischenmenschliche Beziehungen verändern oder sich ein sachlicher Erkenntnisgewinn ergibt, dann passiert dies hier nicht. Zumindest nicht für die dargestellten Charaktere. Einziges Indiz einer Handlung mag das zeitliche Herantasten an
die tatsächlichen Ereignisse sein, ausgehend vom Kennenlernen der jungen Familien. Tatsächlich jedoch besteht das Stück aus einer Aneinanderreihung psychischer und physischer Zusammenbrüche der handelnden Personen. In dem unermüdlichen Willen, die letzte Wahrheit endlich greifen zu können, stürzt sich jede und jeder auf seine Art in das tiefe schwarze Loch der Ungewissheit, um am Ende wieder zu scheitern. Väter und Mütter kämpfen jeweils ganz alleine, suchen Schuld bei sich und immer wieder mit direkten Anfeindungen auch bei anderen. Und trotzdem bleibt kein Zorn, niemand ist nachtragend.

 

 

Bernd Moss (Eddie), Katharina Marie Schubert (Else), Natali Seelig (Cleo), Jörg Pose (Johnny)

Bernd Moss (Eddie), Katharina Marie Schubert (Else), Natali Seelig (Cleo), Jörg Pose (Johnny)

 

Was ist es also, dass uns Dea Loher als Autorin und der Regisseur Andreas Kriegenburg mitteilen möchten? Zum einen scheint es, dass die Eltern als etroffene so stark von Schuldgefühlen getrieben sind, dass sie nicht selbst abstrahieren können. Eine echte Diskussion, gar eine sachliche, findet nicht statt. Der Tod eines Kindes ist wohl derart einschneidend, dass Eltern als Opfer sich nicht selbst aus dem Strudel der Vorwürfe befreien können. Zu einer Lösung kommen sie nicht, aber möglicherweise hilft das Sprechen darüber. Als Folge verkennen die Eltern die wahre Motivation ihrer Kinder. Sonst würden sie bemerken, dass sich ihre Kinder das Leben nicht aus Not sondern aus Liebe nahmen. Auch wenn das ökonomische Leben der Brauereifamilie an den Bankern hing, so ging es doch keinem unerträglich schlecht. Nein, es handelt sich viel mehr um greifbare Realität mit den Sorgen des Alltags und den täglichen Hürden, die das Leben bietet. Und die Kompromisse, die ein jeder eingeht, vielleicht eingehen muss, um sein täglich Brot zu sichern. Die ideale Liebe kennt jedoch keine Kompromisse und ist völlig rein. Letztlich mag es wohl Mut gewesen sein, für den Verzicht auf Leben in einen Traum der ewigen Liebe hinein zu schlafen. Es war kein grausamer Tod. Das junge Paar fuhr auf den Schwarzen See hinaus, nahm Schlafmittel und schlief Arm in Arm ein, während langsam Wasser in das Boot lief.

Am Schwarzen See ist ein sehr sehenswertes Stück für Menschen, die nachdenken möchten. Es ist spannend in den Situationen selbst und lebt von der großen schauspielerischen Leistung aller Charaktere. Die Uraufführung war am 26. Oktober 2012 im Deutschen Theater. Es ist ein modernes Stück, von dem etwas bleibt.

Malte Raudszus

Alle Bilder © Arno Declair

Was man über Sonne, Mond und Sterne wissen sollte, ohne die Astrologie zu bemühen

Walter Stein: „Das kleine Sternenbuch“

1401_SternenbuchWer in einer lauschigen Sommernacht in den sternklaren Himmel schaut, denkt sich oft, dass es doch schön wäre, alle diese Konstellationen von hellen und weniger hellen Sternen und Planeten zu kennen und sie erklären zu können, zum Besipiel einer hübschen jungen Dame, die man damit beeindrucken kann. Doch auch zu wesentlich prosaischeren Zwecken ist die Kunde der Gestirne nützlich, haben sich die Seefahrer vor der Erfindung des Kompasses doch – außer nach Landmarken – vor allem nachts nur nach den Sternen gerichtet. Dazu muss man natürlich die einzelnen Sterne kennen und auch wissen, welcher von ihnen zu welcher Jahreszeit wo steht.

Das vorliegende Buch gibt erst einmal einen Überblick über die Grundlagen der terrestrischen Navigation, so über die Bedeutung der Erdkrümmung und über den Grund für die Jahreszeiten. Es erzählt etwas über die Ekliptik der Sonne – ihre jährliche Bahn durch über die „virtuelle“ Himmelskugel – und erklärt Begriffe wie Zenith, Nadir, Frühlings- und Herbstpunkt sowie Sommer- und Wintersonnenwende. Weiterhin lernt der Leser etwas über die Ausdehnung des Sonnensystems und die Größenverhältnisse von Sonne, Mond und Erde sowie den anderen Planeten. Dazu gehört auch die Erklärung von Mond- und Sonnenfinsternis.

Ein ausführliches Kapitel ist den Sternbildern gewidmet, die natürlich nur scheinbar aus einer Gruppe zusammengehöriger Sterne bestehen. In Wirklichkeit sind die Bestandteile eines Sternbildes meist weit auseinanderliegende Sterne, die noch nicht einmal in der selben Galaxis liegen müssen. Die unterschiedliche Helligkeit und Größe dieser Sterne wird ausgeglichen durch die unterschiedlichen Entfernungen, so dass sie dem Betrachter auf der Erde als etwa gleich groß erscheinen. Die ungeheuren Distanzen verhindern auch jegliche spürbare perspektivische Veränderung durch den Weg der Erde um die Sonne während des Jahres, so dass die Sternbilder auf Ewigkeiten am Himmel fixiert zu sein scheinen. Walter Stein erläutert die Lage der einzelnen Sternbilder am Himmel und zueinander und gibt Hilfen, einzelne weniger auffällige Sternbilder ausgehend von anderen zu finden. Dabei geht er auch auf die einzelnen Jahreszeiten und die jeweils zugehörigen Sternbilder des Nord- und Südhimmels ein.

Der zweite Teil ist dann detailliert der Sonne, den Planeten und dem Mond gewidmet. Die physikalischen Parameter spielen dabei ebenso eine Rolle wie besonderheiten ihrer Umlaufbahnen bzw. ihres Erscheinungsbildes von der Erde aus. Das letzte Kapital behandelt die Fixsterne, ihre Einteilung in Größenklassen, ihre Standorte im Universum und ihre Farben, die wiederum etwas über die Temperatur aussagen, und über ihre Entstehungsgeschichte.

Walter Stein beschreibt all diese komplexen Zusammenhänge in einfacher, verständlicher Sprache und ohne jegliche Mathematik, so dass auch Leser ohne besondere mathematische oder physikalische Kenntnisse das Buch verstehen. Es richtet sich sowohl an Segler (sogar Motorbootfahrer!), die etwas über die astronomische Navigation lernen wollen, als auch für interessierte Leser, die einfach den Himmel verstehen – oder vielleicht einem Mädchen die Sternbilder erklären wollen.

„Das kleine Sternenbuch“ist im Verlag Delius Klasingerschienen, umfasst 200 Seiten und kostet 14.

Frank Raudszus

Rotraut Susanne Berner: „Frühlings-Wimmelbuch“

 

Ein Kinderbuch mit viel Liebe zum Detail

In dem kleinen Ort Wimmlingen ist der Frühling ausgebrochen. Menschen, Tiere und Fahrzeuge wimmeln umeinander wie im richtigen Leben auch.

1402_WimmelbuchDas erste Klappbild zeigt ein großes Haus. Alles ist liebevoll möbliert, und in jedem Zimmer gibt es passende Details zu entdecken. In der Küche liegt noch die Zeitung aufgeschlagen neben Kaffeetasse und Babyfläschchen auf dem Küchentisch. Wahrscheinlich geht Mama mit dem Baby im Kinderwagen gerade einkaufen – und tatsächlich: das sind die beiden mit großem Einkaufsnetz unterwegs. Währenddessen trägt Opa den Müll hinunter, der Schornsteinfeger kehrt den Kamin, ein Teddy sitzt vergnügt auf der Schaukel, und eine Frau kann ihren Hund kaum festhalten, weil der zu einem Mülleimer strebt, in dem ein anderer großer Hund schon nach Essbarem sucht.

Kinder können hier so vieles entdecken, dass es eigentlich gar keines Textes bedarf. Viele kleine Zeichnungen locken zu einer Entdeckungsreise mit Augen und Zeigefinger. Man kann sich herrlich in dem ganzen Gewimmel verlieren und immer wieder Neues finden. Zwei Häschen sitzen sich gegenüber, ein Papagei im Käfig bekommt Besuch von einem Raben, ein Storch sucht auf der Wiese nach Fröschen….

Kinder entdecken gerne winzige aber auch witzige Kleinigkeiten und lieben es, darüber zu erzählen. So ist dieses Kinderbuch etwas für kleine Entdecker, fördert aber auch die Kommunikation. Wem das nicht reicht, der kann sich schließlich noch die passende Hör-CD dazu auflegen, eine kleine Reisen mit Augen und Ohren unternehmen und sogar zwei Lieder über den Frühling oder die Saurier lernen.

Es gibt sieben Klappbilder mit den Themen Wohnhaus, Bauernhof, Werkstatt, Tankstelle, Bahnhof, Kirche, Kindergarten, Kulturzentrum, Marktplatz, Kaufhaus, Park. Dazu kommt das „Frühlings-Wimmel-Hinhörbuch“, vorgetragen von Cornelia Schirmer unter Mitwirkung vonStephan Schad, Elisabeth Scharlau und anderen. Die Lieder singt Daniel Gallardo. Leider ist die Qualität der Hör-CD nicht optimal.

Das „Frühlings-Wimmelbuch“ ist im Gerstenberg-Verlag erschienen und kostet 7,95 €.

Barbara Raudszus

Haruki Murakami: „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“

Ein surrealistischer Roman über Liebe und Freundschaft

 

Buchumschlag

Buchumschlag

Tsukuru Tazaki, neunzehn Jahre alt und im zweiten Jahr an der Universität in Tokio, denkt an nichts anderes als an den Tod. Er balanciert  an der Schwelle zwischen Leben und Untergang. Dennoch schafft er es, am Leben zu bleiben. Sein Tagesablauf bleibt geregelt. Er fühlt sich jedoch eher wie ein Schlafwandler, der sein Leben unbewusst lebt und wie ein Blatt im Herbstwind dahintreibt.

Ein einschneidendes Erlebnis in seinem jungen Leben hat ihn in diesen Zustan versetzt. Seine vier besten Freunde, mit denen er jahrelang in inniger Freundschaft verbunden war, haben ihm von einem Tag auf den anderen die Freundschaft aufgekündigt. Ohne jede Erklärung teilten sie ihm mit, dass sie ihn niemals wiedersehen und auch nie mehr mit ihm sprechen wollen. Alle Versuche seinerseits, irgendeine Erklärung für dieses Verhalten zu erhalten, sind gescheitert. Er ist vor den Kopf gestoßen und mit der Kränkung und der Ausgrenzung völlig sich selbst überlassen. Das führt zu großem Herzschmerz.

Dennoch schafft er es nach langer Zeit, aus seiner Depression herauszufinden. Eine Freundschaft mit einem jungen Mitstudenten hilft ihm dabei. Doch schließlich ist es Sara, die ihn wieder die Liebe lehrt, aber auch eine Bedingung stellt: er muss seine Jugendfreunde von früher aufsuchen und in Erfahrung bringen, warum sie ihn damals so radikal aus ihrer Clique ausgestoßen haben. Tsukuru macht sich tatsächlich auf die Suche nach den ehemaligen Freunden, in der Hoffnung, Antworten zu finden und so seinen Seelenschmerz zu lindern.

Murakamis neuer Roman ist ein eher düsterer Stoff, der sich mit der inneren Welt des Menschen auseinandersetzt. Dieses Innerste in uns, das so häufig von der äußeren Welt verdrängt wird und dennoch in uns lauert, um jederzeit wieder in unser Leben einzugreifen und es zu beherrschen. Im Buch heißt es „Nicht alles verschwindet im Fluss der Zeit.“

Es ist auch ein Roman über das Erwachsenwerden. Hier steht die Einsamkeit des Menschen im Mittelpunkt. Der sehr spezielle Pfad, den jeder von uns alleine gehen muss, wird hier an den Pilgerjahren des farblosen Herrn Tazaki nachgezeichnet. Wir erleben einen bizarre Welt, die sich um den Protagonisten herum auftut und ihn in die größte Verzweiflung treibt. Ein äußerst spannender und mysteriös anmutender Romanstoff, in dem Handlung und Gedankenwelt häufig ineinander übergehen. Für den Leser ist es bisweilen schwer, beides auseinanderzuhalten.

Auch das Ende des Romans gibt Rätsel auf. Fällt der Protagonist nur in einen tiefen Schlaf oder verlöscht das letzte Licht des Bewusstseins endgültig?

Das Buch „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ ist im Dumont-Verlag erschienen, umfasst 318 Seiten und kostet 22,99 €.

Barbara Raudszus

Mehr als ein Ersatz….

Beim 4. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt interpretiert Hans Christoph Begemann Schuberts „Winterreise“

In der Theatersaison 1997/98 präsentierte der damals gerade frisch am Staatstheater Darmstadt engagierte Bass-Bariton Hans Christoph Begemann Franz Schubers Liederzyklus „Winterreise“. Wir haben seinerzeit über dieses Konzert berichtet. Für diese Saison hatte das Staatstheater wiederum die „Winterreise“ vorgesehen, jedoch gesungen von dem Tenor Christoph Prégardien, der trotz seines französischen Namens Deutscher ist. Am Morgen des Konzerttages sagte Prégardien jedoch krankheitshalber ab, und das Theater stand vor dem Problem, innerhalb eines halben Tages Ersatz zu schaffen. Bei wem wurde man schließlich innerhalb dieser kurzen Zeit fündig? Ausgerechnet bei Hans Christoph Begemann, der im Jahr 2005 sein Engagement am Staatstheater Darmstadt sicherlich gerne verlängert hätte. Da er im nahen Mainz lebt und an diesem Abend offensichtlich frei war, gelang es tatsächlich, ihn für dieses Konzert zu verpflichten. Sogar sein fester Begleiter Thomas Seyboldt war an diesem Abend verfügbar. So konnte das Staatstheater nicht nur das geplante Programm anbieten, sondern auch noch mit einem erfahrenen, aufeinander eingespielten Duo.

1401_schubertFranz Schubert

Es wäre natürlich reizvoll gewesen, Begemanns Interpretation mit der vor sechzehn Jahren zu vergleichen, doch die Erinnerung an jenen Abend wollte sich nicht mehr einstellen. Die Lektüre der damaligen Rezension führte jedoch zu dem überraschenden Ergebnis, dass eben dieser Bericht weitgehend auch auf das Konzert am 16. Januar 2014 passte. Das soll nicht bedeuten, dass wir hier auf eine Rezension des Abends verzichten wollen, sondern es ist ein Zeichen für die Kontinuität der künstlerischen Leistung der Interpreten, wenn auch davon auszugehen ist, dass nach so langer Zeit eine Reifung und Verfeinerung der Gesangskultur anzunehmen ist. Doch wie gesagt – ein direkter Vergleich ist nicht mehr möglich.

Hans Christoph Begemann schien sich zu freuen, an seiner alten Wirkungsstätte vor einem Publikum aufzutreten, das ihn großenteils noch aus verschiedenen Aufführungen kannte, denn er erschien mit einem verschmitzten Lächeln auf der Bühne. Das Publikum dankte es ihm mit einem langen Begrüßungsapplaus, den man fast schon demonstrativ nennen konnte. Viele Abonnenten hatten es im Jahr 2005 außerordentlich bedauert, dass Begemanns Vertrag beim Intendantenwechsel nicht verlängert worden war.

In Wilhelm Müllers Gedichtzyklus „Winterreise“ geht es vordergründig um eine verlorene Liebe. Der Wanderbursche verlässt den Ort seiner unglücklichen Liebe, kann sich aber innerlich nicht davon lösen. In zwei Zyklen von jeweils zwölf Gedichten schwankt er zwischen frohen Erinnerungen, Wehmut, Verzweiflung, unsinniger Hoffnung, trotzigem Aufbegehren, Todessehnsucht und Resignation. Ein Hauch von Abschied und Lebensüberdruss durchzieht den gesamten Zyklus. Sekundärinterpreten haben diese Gedichte als Metapher auf die Restauration verstanden, die nach den napoleonischen Befreiungskriegen jegliche freiheitlich-demokratischen Hoffnungen im Keim erstickte. Das mag für Müller bis zu einem gewissen Grad stimmen, da er als Freigeist bekannt war. Bei Franz Schuberts Vertonung kann man aber davon ausgehen, dass der Schwerpunkt auf dem Liebesleid liegt, denn einerseits ist Schubert nicht als verkappter Revolutionär bekannt, andererseits aber durchaus als ein von Liebesproblemen geplagter junger Mann. Müllers Texte dürften ihn mitten ins Herz getroffen haben, so dass sich eine Vertonung geradezu aufdrängte. Die Tatsache, dass der Müllersche Gedichtband auf dem Index der Zensur stand, sollte dabei hinsichtlich Schuberts Motivation nicht überbewertet werden.

1401_begemannHans Christoph Begemann

Auffallend sind bei den Vertonungen der einzelnen Gedichte die Metriken, die sich dem Inhalt nahtlos anschmiegen. Bereits die „Gute Nacht“ („Fremd bin ich eingezogen…“) wird von einem gleichmäßig, aber fest schreitenden Grundrhythmus getragen, der die Situation eines dumpf vor sich hinbrütenden Wanderers unterstreicht. Die Tonart d-Moll verstärkt die düstere Stimmung noch. Die „Gefror´ne Tränen“ verdeutlicht das Klavier mit einem akzentuierten Tropfenmuster, bei dem man förmlich die Tränen fallen hört.  Die „Erstarrung“ dann wieder kommt als eine alle Bewegung hemmende Verzweiflung daher, während der „Lindenbaum“ noch einmal die schönen Tage der Liebe ins Gedächtnis ruft. „Auf dem Flusse“ ist eine langsame, fast stockende Elegie, der „Rückblick“ klagt mit höchster Wehmut über den Verlust der Liebe, und das „Irrlicht“ wirkt in seinem abgründigen h-Moll geradezu beklemmend. Während die „Rast“ noch einmal eine langsam daherschreitende Ruhephase einlegt, lebt der „Frühlingstraum“ von dem abrupten rhythmischen und melodischen Kontrast von Traum und Realität.

Der zweite Teil beginnt mit der hoffnungsvollen Erwartung der „Post“, die „Der greise Kopf“ mit seiner Todessehnsucht sofort konterkariert, und „Die Krähe“ setzt noch eine ahnungsvolle Metapher des nahenden Todes hinzu. Eine „Letzte Hoffnung“ glimmt auf, doch „Im Dorfe“ zeigt sich wieder die Wirklichkeit auf bittere Weise. Die „Täuschung“  beeindruckt durch ihre ostinaten Tonfolgen, vor allem in der Klavierbegleitung, und „Der Wegweiser“ enthält längere Solopassagen des Klaviers, bei denen der Sänger beredt schweigt. Während im „Mut“ noch einmal eine trotzige Lebensbejahung durchbricht, nimmt in „Die Nebensonnen“ wieder die düstere Seelenlage überhand, und „Der Leiermann“ schließlich, als Sinnbild des Todes, führt in einen fast schon transzendenten Abgesang auf das Leben.

Hans Christoph Begemann deckte dieses breite Spektrum von emotionalen Befindlichkeiten mit hoher Feinfühligkeit im Gesang und in der Wortbildung ab. Dabei hütete er sich vor Übertreibungen in beiden Richtungen. Die leise, dunkle Verzweiflung, das trotzige Aufbegehren und die bittere Resignation kamen ihm nie als klischierte Gefühle sondern als ein facettenreiches Ton- und Textgebilde aus den feinsten Gemütsschwankungen über die Lippen. Innerhalb einer Strophe konnte er sich vom düsteren Flüstern zum bedrängten Aufbegehren aufschwingen oder emotional plötzlich in sich zusammensinken, je nachdem, was der Text verlangte. Thomas Seyboldt war ihm dabei ein so unauffälliger wie effizienter Begleiter. Seine körperliche Ruhe ließ die Aufmerksamkeit auf dem Sänger ruhen; sein Spiel versuchte nie, den Sänger zu überflügeln, unterstützte und verstärkte ihn jedoch da, wo es angeraten war. Gerade durch sein zurückgenommenes Spiel trug Seyboldt entscheidend zu dem dichten Gesamteindruck bei.

Ein Maßstab für die Intensität und Qualität eines Gesangsvortrags ist stets der Grad der Ruhe im Publikum. Bei diesem Konzert hörte man lange Zeit nicht einmal einen Huster, und wenn, dann sehr unterdrückt. Über längere Strecken des auf Pausen verzichtenden Vortrags herrschte vollständige Stille im Saal. Nach dem Verklingen der letzten Töne des „Leiermann“ verharrten Begemann und Seyboldt in ihrer Vortragshaltung, und das Publikum folgte ihnen in absoluter Stille für nahezu eine ganze Minute, bevor der erste Beifall einsetzte. Dann aber zeigten die Zuhörer mit begeistertem Applaus, dass sie Hans Christoph Begemanns Auftritt für alles andere als einen Ersatz hielten. Wie auch immer Christoph Prégardien sich hier präsentiert hätte – er wurde am Ende dieses Abends nicht vermisst.

Frank Raudszus